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Bärendienst

Es war ein warmer Samstagnachmittag, und meine Papageien waren in Panik. Wuchtige Schläge dröhnten durch das Mauerwerk und ließen die Möbel mitsamt Inhalt erzittern. Kurzentschlossen schob ich den Wagen mit dem riesigen Vogelkäfig in die Küche. Danach eilte ich durch das Treppenhaus, um mich vorsichtig bei meinem Nachbarn nach der Ursache des Lärms zu erkundigen. Als ich erfuhr, dass es nur um ein Loch zwischen zwei Räumen ging, durch das ein Kabel gelegt werden sollte, bot ich an, ihm einen extra langen Steinbohrer zu leihen. Damit würde es leichter gehen, und schneller, und leiser. Ich holte den Bohrer, der Nachbar spannte ihn in seine kleine Bohrmaschine und bohrte drauflos. Nach einer Weile versagte die Maschine: Das Bohrfutter war hinüber. Also holte ich unsere Schlagbohrmaschine. Damit gelang der Mauerdurchbruch, jedoch leider nicht dort, wo geplant. Auf der anderen Seite ankommend traf der Bohrer das Telefonkabel, und meine warnenden Rufe wurden wegen des Schlagbohrers nicht gehört. Anschließend dankte mir der Nachbar für den Bohrer. Ich aber grüble jetzt: Das Loch ist schief, seine Bohrmaschine kaputt, sein Telefonkabel beschädigt. Hab ich ihm damit wirklich geholfen?

Stop-Schild statt Piratenwiki

Sprachgewalt: „Bitte haben Sie dafür Verständnis, das wir dazu verpflichtet sind, einige Internetseite zum Schutze unserer Jugend zu blocken. Die von Ihnen aufgerufene Seite gehört dazu.“

Das bekommt man als erwachsener, zahlender Kunde im Internet-Café des Elektronik-Kaufhauses Saturn in den Räumen des Elektronik-Kaufhauses Saturn in der Mönckebergstraße in Hamburg zu sehen, wenn man im Piratenpartei-Wiki nachsehen will, wo man den Stammtisch unseres Landesverbands findet.

Die Quelle für die Filter-Kriterien könnte eventuell(!) JusProg sein, ein Jugendschutz-Filter-Anbieter, dessen Filterpolitik schon vor längerer Zeit auf Telepolis diskutiert wurde: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30391/1.html

Ich war nicht selbst am Rechner, sondern mein Mann (Nichtpirat), der sich spontan unseren Stammtisch ansehen wollte, keinen Mobilrechner dabei hatte, und im I-Café schnell mal den Veranstaltungsort raus suchen wollte. Tja, und dann musste er mich leider doch noch anrufen.

Eigentlich wäre es angebracht, nachzuforschen, ob Webauftritte anderer Parteien von Saturn vom Betreiber des I-Cafés ebenfalls blockiert werden, und ob die Sperre nach den Unmutsbekundungen meines Mannes aufrecht erhalten wurde.  Um die Angelegenheit selbst untersuchen zu können fehlt es mir allerdings an Gelassenheit. Vermutlich würde ich bei einer Diskussion mit den dortigen Aufsichtspersonen an die Decke gehen wie ein HB-Männchen. Ich finde eine so eingesetzte Sperre in einem Internet-Café nämlich völlig unmöglich.

Erstens sollte der Betreiber zwischen Erwachsenen und Jugendlichen unterscheiden können, und auch Plätze mit verschiedenen Altersfreigaben freischalten können.

Zweitens ist die Verwendung des weithin sichtbaren Stop-Schilds meiner Ansicht nach diskriminierend. Unbeteiligte, die das mitbekommen, müssen nach den vdL-Kampagnen ja sonst was über die Betroffenen denken.

Und drittens kann ich mir nicht vorstellen, dass eine staatliche Stelle oder irgendein Anwalt Anlass sehen könnte, jemanden zu belangen, der einem Kind politische Lektüre zugänglich gemacht hat. Eher noch könnte man auf den Gedanken kommen, diverse Boulevard-Blätter nur noch unter dem Ladentisch zu verkaufen, und alle Eltern dazu zu verpflichten, ihre Zeitungen für Kinder unzugänglich zu verwahren.

Welche Kunden hat das I-Café von im Saturn als Zielgruppe? Unbegleitete 6-Jährige, die nach dem Unterricht ihr Taschengeld verzocken?

Update: Das besagte Internet-Cafe befindet sich zwar im Saturn, gehört aber offenbar nicht zu Saturn. Es werden offenbar die Seiten aller Parteien gesperrt, nicht nur die der Piratenpartei. Die Angelegenheit wird von kundigen Piraten untersucht.


„The whole principle [of censorship] is wrong. It’s like demanding that grown men live on skim milk because the baby can’t have steak.“
— Robert Heinlein, „The Man Who Sold the Moon“, p.188.

Kreuz, Blut und Schmerz

Witz, alt: Der Papst reist nach New York. Bei seiner Ankunft am Flughafen bestürmen ihn sofort die Journalisten. Ein besonders eifriger Vertreter dieser Zunft schiebt dem Papst ein Mikrophon ins Gesicht und fragt: „Heiliger Vater, was denken Sie über das New Yorker Nachtleben?“ Der Papst, sichtlich um Haltung bemüht, lächelt gequält und fragt in diplomatischem Ton zurück: „Hat New York ein Nachtleben?“ Am nächsten Tag erscheinen Schlagzeilen in der amerikanischen Presse: Papst in New York gelandet. Seine erste Frage bei der Ankunft: „Hat New York ein Nachtleben?“

Deutschland, aktuell: Eine türkischstämmige Politikerin wird interviewt. Unter anderem wird ihr die Frage gestellt, was sie von Kopftüchern in Klassenräumen hielte. Sie lehnt diese ab, und führt aus, dass eine Schule ein neutraler Ort sein solle. Der Interviewer fragt nach, ob sie Kruzifixe gleichfalls ablehne. „Ja“, antwortet sie, „Christliche Symbole gehören nicht an staatliche Schulen. Für Schulen in kirchlicher Trägerschaft gilt das nicht.“ Mit dieser Aussage gibt sie wieder, was Stand der Rechtsprechung ist. Sie tritt nicht von sich aus an die Öffentlichkeit, um zu diesem Thema eine Forderung zu stellen. Sie beantwortet nur eine Frage.

Was folgt, ist ein Shitstorm der üblichen Machart, der den deutschen Blätterwald besprenkelt und gleichzeitig vorzüglich düngt: Empörung wird inszeniert und zelebriert, die Werte des Abendlandes mit werden mit theatralisch überhöhter Leidenschaft verteidigt. Als die Dame sich daraufhin genötigt sieht, das Gesagte zu relativieren, tritt die Journaille noch mal kräftig nach, und überschriftet: „Jetzt kriecht sie zu Kreuze“.  Im Artikel wird die Bildsprache weitergeführt und bis ins Perverse gesteigert: „Sie hat sich eine blutige Nase geholt, wurde von Parteikollegen zur Räson gerufen und ist zum Schluss zu Kreuze gekrochen …“

Welch ein Bild: Eine Muslima, die zu frech geworden, hat man blutig zusammengeschlagen, bis sie schließlich auf dem Boden kriechend unter dem Kreuz um Vergebung bettelte. Man könnte fast auf den Gedanken kommen, dass manche Autoren solcher Beschreibungen eine gewisse dunkle Lust an Geschichten von Blut, Schmerz und Tränen empfinden, dass für sie die Feder ein mächtigeres Züchtigungsinstrument sei als die Peitsche, dass jeder Anschlag auf der Tastatur einem klatschenden Hieb auf den entblößten Rücken ihrer Opfer gleichkäme. Aber da geht bestimmt nur meine Phantasie mit mir durch. Genau wie bei dem Gedanken, dass manche Redakteure bei der Arbeit ein sehr knappes, eng sitzendes Lederoutfit samt zugehöriger Henkersmaske tragen.

Focus: Aygül Özkan: Niedersachsens neue Sozialministerin gegen Kruzifixe

Focus: Niedersachen: CDU nordet Özkan ein

Focus: CDU: Kruzifixe bleiben hängen – Missverständliche Aussagen von Aygül Özkan ausgeräumt

Hamburger Morgenpost: Jetzt kriecht sie zu Kreuze

Bildblog: Der Kreuz-Zug ist abgefahren